BGH, Urteil vom 22. Januar 2010, V ZR 75/09

§ 18 WEG

1. Eines Beschlusses zur Entziehung des Wohnungseigentumss bei einer aus nur zwei Mitgliedern bestehenden Eigentümergemeinschaft  bedarf es nicht, wenn die für einen solchen Beschluss erforderliche, nach Köpfen zu bestimmende absolute Mehrheit nicht erreicht werden kann. An die Stelle des Beschlusses tritt gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 WEG die Klage des anderen Wohnungseigentümers gegen den Störer auf Veräußerung.

2. Ein Anspruch auf Veräußerung scheidet aus, wenn der klagende Wohnungseigentümer ebenso gegen seine Pflichten wie der beklagte Eigentümer verstößt und der Anspruch auf Veräußerung mit umgekehrten Parteirollen rechtshängig gemacht werden könnte

 

Das Grundstück B. straße 30 in B. ist mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut. Es ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz in vier Einheiten geteilt. Der Klägerin gehören die Wohnungen Nr. 2 bis 4, der Beklagten die Teileigentumseinheit Nr. 1. Zu dieser gehört das Sondereigentum an Ladenräumen im Erdgeschoß und weiteren Räumen im ersten Obergeschoss des Gebäudes, die über eine Außentreppe zu erreichen waren. Nach der Teilungserklärung stehen der Klägerin in der Wohnungseigentümerversammlung drei Stimmen, der Beklagten zwei Stimmen zu.

Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft war zunächst der Ehemann der Beklagten. Später wurde es die Klägerin. Um das Jahr 1997 riss der Ehemann der Beklagten die Außentreppe ab, weil diese, wie die Beklagte behauptet, baufällig war. Seither sind die Räume im Obergeschoss der Teileigentumseinheit der Beklagten nur noch mit Hilfe eines von dem Nachbarhaus, das dem Ehemann der Beklagten gehört, geschaffenen Durchbruchs erreichbar. Anträge der Beklagten, die Neuerrichtung der Treppe auf die Tagesordnung der Eigentümerversammlung zu setzen oder die Neuerrichtung zu beschließen, blieben ohne Erfolg.
Mit der Zahlung des laufenden Hausgelds geriet die Beklagte bis zum Frühjahr 2007 mit einem Betrag von 5.631,05 € in Rückstand. Die rückständigen Beträge sind in Höhe von 5.092,81 € tituliert. Der titulierte Betrag übersteigt 3 % des Einheitswerts des Teileigentums der Beklagten. Vollstreckungsversuche verliefen erfolglos. Mit Schreiben vom 24. März 2007 drohte die Klägerin der Beklagten an, in der Eigentümerversammlung den Ausschluss der Beklagten aus der Gemeinschaft gemäß § 18 WEG zu beantragen. Am 26. Juni 2007 beschlossen die Wohnungseigentümer mit den drei Stimmen der Klägerin gegen die beiden Stimmen der Beklagten, der Beklagten ihr Teileigentum wegen der Rückstände auf das Hausgeld zu entziehen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr Teileigentum zu veräußern. Die Beklagte hat eingewandt, auch die Klägerin verstoße gegen ihre Pflichten als Wohnungseigentümerin. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.
Jedoch ohne Erfolg!

Ein durchsetzbarer Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Veräußerung ihres Teilseigentums gemäß § 18 WEG besteht derzeit nicht.

1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte auf Veräußerung deren Teileigentums nach § 18 Abs. 1, Abs. 2 WEG sind gegeben. Eines wirksamen Beschlusses gemäß § 18 Abs. 3 WEG bedarf es bei einer aus nur zwei Mitgliedern bestehenden Eigentümergemeinschaft nicht, weil die für einen solchen Beschluss erforderliche, nach Köpfen zu bestimmende absolute Mehrheit nicht erreicht werden kann. An die Stelle des Beschlusses tritt gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 WEG die Klage des anderen Wohnungseigentümers gegen den Störer auf Veräußerung (LG Aachen ZMR 1993, 233; LG Köln
7ZMR 2002, 227; Jennißen/Heinemann, WEG, Rdn. 5; Riecke in Riecke/ Schmid, WEG, 2. Aufl., § 18 Rdn. 39).
2. Bei der Entscheidung der Frage, ob die Pflichtverletzung des Störers zu einem Anspruch auf Veräußerung des Wohnungseigentums führt, darf das Verhalten des Störers nicht isoliert bewertet werden. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten insgesamt gegeneinander abzuwägen (Jennißen/Heinemann, aaO, Rdn. 13; Riecke, aaO, Rdn. 25 f.).  Danach scheidet ein Anspruch auf Veräußerung aus, wenn der klagende Wohnungseigentümer ebenso gegen seine Pflichten wie der beklagte Eigentümer verstößt und der Anspruch auf Veräußerung mit umgekehrten Parteirollen rechtshängig gemacht werden könnte (Kreuzer in Anwalts-handbuch Wohnungseigentumsrecht, 2. Aufl., Teil 10 Rdn. 15).

So liegt es, soweit die Beklagte behauptet, auch die Klägerin habe das von ihr der Wohnungseigentümergemeinschaft geschuldete Hausgeld in erheb-lichem Maße nicht geleistet oder veruntreut. Feststellungen hierzu sind indessen nicht getroffen.

3. Die Veräußerungsklage scheitert aber auch dann, wenn das dem beklagten Wohnungseigentümer vorgeworfene Verhalten von dem Kläger provoziert ist (Kreuzer, aaO) oder sich sonst als treuwidrig darstellt (Vandenhouten in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 8. Aufl., § 18 Rdn. 22).

So liegt der Fall hier. Die Klägerin verhindert durch ihr Verhalten die Wiederherstellung der zur ordnungsmäßigen Nutzung der im Eigentum der Beklagten stehenden Räume im Obergeschoss des Hauses notwendigen Treppe und verstößt so in grober Weise gegen ihre Pflichten als Wohnungseigentümerin. Auch wenn die Treppe nur dazu dient, das Sondereigentum der Beklagten zu erreichen und, wie die Klägerin behauptet, in der Teilungserklärung dem Eigentum der Beklagten zugewiesen ist, handelt es sich bei der Treppe nach § 5 Abs. 1 letzte Alternative WEG zwingend um gemeinschaftliches Eigentum. Gleichgültig aus welchem Grund die Treppe abgerissen worden ist und ob die Räume im Obergeschoss derzeit von dem Nachbarhaus aus betreten werden können, gehört es zur ordnungsgemäßen Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, die Treppe wiederherzustellen. Hierzu bedarf es nach § 22 Abs. 1 WEG eines entsprechenden Beschlusses der Wohnungseigentümer.
 

§ 18 Entziehung des Wohnungseigentums

  (1) 1Hat ein Wohnungseigentümer sich einer so schweren Verletzung der ihm gegenüber anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht, daß diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann, so können die anderen Wohnungseigentümer von ihm die Veräußerung seines Wohnungseigentums verlangen. 2Die Ausübung des Entziehungsrechts steht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu, soweit es sich nicht um eine Gemeinschaft handelt, die nur aus zwei Wohnungseigentümern besteht.

  (2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 liegen insbesondere vor, wenn

    1.der Wohnungseigentümer trotz Abmahnung wiederholt gröblich gegen die ihm nach § 14 obliegenden Pflichten verstößt;

    2.der Wohnungseigentümer sich mit der Erfüllung seiner Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung (§ 16 Abs. 2) in Höhe eines Betrages, der drei vom Hundert des Einheitswertes seines Wohnungseigentums übersteigt, länger als drei Monate in Verzug befindet; in diesem Fall steht § 30 der Abgabenordnung einer Mitteilung des Einheitswerts an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder, soweit die Gemeinschaft nur aus zwei Wohnungseigentümern besteht, an den anderen Wohnungseigentümer nicht entgegen.

  (3) 1Über das Verlangen nach Absatz 1 beschließen die Wohnungseigentümer durch Stimmenmehrheit. 2Der Beschluß bedarf einer Mehrheit von mehr als der Hälfte der stimmberechtigten Wohnungseigentümer. 3Die Vorschriften des § 25 Abs. 3, 4 sind in diesem Falle nicht anzuwenden.

  (4) Der in Absatz 1 bestimmte Anspruch kann durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

BGH, Urteil vom 22. Januar 2010, V ZR 75/09,Entziehung des WohnungseigentumBGH, Urteil vom 22. Januar 2010, V ZR 75/09

AG Borna, Entscheidung vom 29.02.2008 - 3 C 1319/07 W -
LG Dresden, Entscheidung vom 01.04.2009 - 2 S 173/08 -

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