Der Fall:
Die Parteien streiten um Räumung und Herausgabe der vom Beklagten aufgrund Mietvertrag vom 20.12.1973 angemieteten Wohnung nach vermieterseits erfolgter Eigenbedarfskündigung vom 10.11.2015. Die Vermieter sind seit 27. August 2015 Eigentümer zu je ½ des gesamten Anwesens, in welchem sich neben der Wohnung des Mieters noch zwei weitere Wohnungen und ein Atelier befinden.

Mit Urteil vom 03.04.2017 wies das Amtsgericht München die Klage der Vermieter ab und setzte das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fort. Die Eigenbedarfskündigung vom 10.11.2015 sei zwar wirksam erfolgt, da das Gericht davon überzeugt sei, dass die Vermieter das gesamte Anwesen, in dem sich die Wohnung des Mieters befindet, für sich und ihre beiden Kinder durch zusammenlegen der vorhandenen Wohnungen als Familienwohnsitz und Büro nutzen wollen. Das Amtsgericht führte jedoch aus, dass der Räumungsanspruch aufgrund des vom Mieter geltend gemachten Härteeinwandes nicht bestehe und setzte das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fort. Es führte weiter aus, dass ein Umzug aufgrund der emotionalen Entwurzelung und der körperlichen Belastungen zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, wenn nicht sogar zum vorzeitigen Tod des Mieters führen würde. Eine unzumutbare Härte sei auch unter Berücksichtigung des Umstandes gegeben, dass die Mieter von den Vermietern eine Ersatzwohnung angeboten wurde und ihm die gesamte Umzugsorganisation abgenommen werden sollte.

Die Entscheidung:

Auf die Berufung der Vermieter hin wurde der Mieter zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verurteilt.
Die Interessenabwägung ergebe, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses trotz des Vorliegens von Härtegründen auf Seiten des Mieters nicht angezeigt sei. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass der Mieter auf Widerspruch gegen die Kündigung gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen könne, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Härte“ erfasst alle Nachteile wirtschaftlicher finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Hierzu kann auch die Verwurzelung eines Mieters in höherem Lebensalter in einem bestimmten Wohnviertel gehören. Hierbei muss der Eintritt der Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen. Es genügt, wenn solche Nachteile mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
Im Fall von gesundheitlichen Beeinträchtigungen kann eine unzumutbare Härte insbesondere dann gegeben sein, wenn der Mieter aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden um dorthin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert würde. Hierbei ist zu beachten, dass im Rahmen der unzumutbaren Härte nicht zu fordern ist, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung so stark ausgeprägt ist, dass sie zu einer Räumungsunfähigkeit führt. Eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765 a ZPO ist im Rahmen des § 574 BGB gerade nicht erforderlich.
Das Landgericht kommt nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass bei dem Mieter ganz erhebliche gesundheitliche Einschränkungen vorhanden sind. Im Grundsatz kann daher unter diesen Bedingungen davon ausgegangen werden, dass aufgrund des jahrzehntelangen Mietverhältnisses und einer damit einhergehenden emotionalen Verwurzelung ein erzwungener Auszug zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann und damit Härtegründe auf Seiten des Mieters im Raum stehen.
Die vorgenommene Interessensabwägung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien nicht fortzusetzen ist. Die Fortsetzung des Mietverhältnisses kann gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB nur verlangt werden, wenn die bei Mieter bestehende Härte auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung sind daher die Bestandsinteressen des Mieters mit dem Erhaltungsinteresse des Vermieters in Beziehung zu setzen. Es ist daher zu fragen, welche Auswirkungen eine Vertragsbeendigung für den Mieter haben würde und wie sich eine Vertragsfortsetzung auf den Vermieter auswirkt. Hierbei sind die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Ist die Räumung für den Mieter mit einer Lebensgefahr verbunden, so müssen die Interessen des Vermieters zurückstehen. Die Interessen des Mieters an der Erhaltung seiner Gesundheit haben im allgemeinen Vorrang vor allgemeinen Finanzinteressen des Vermieters. Der Wunsch des Vermieters für sich und seine Familie eine angemessene Wohnung zu schaffen, ist umgekehrt vorrangig von Finanzinteressen des Mieters.
Im vorliegenden Fall bestehen bei dem Mieter erhebliche gesundheitliche Einschränkungen bei emotionaler Verwurzelung in der streitgegenständlichen Wohnung und der Umgebung der Wohnung. Eine Gefährdung der Gesundheit bei erzwungenen Umzug ist vorhanden. Demgegenüber stehen Interessen der Vermieter, die das Wohnhaus, in welchem sich die streitgegenständliche Wohnung befindet, um dort ihren Familienbesitz zu errichten, für die Kinder eigene Zimmer zu haben und einen Garten, ein Büro, ein Gästezimmer. Es stehen damit auf beiden Seiten gewichtige Positionen gegenüber: hierbei ist zu betonen, dass es alleine dem Vermieter obliegt, wie er sein Eigentum nutzen will und welcher Platzbedarf seinen Wohnvorstellungen entspricht. Eine Einschränkung der Eigentumsposition des Vermieters und Eigentümers kann sich vielmehr erst dort ergeben, wo die berechtigten Interessen des Mieters überwiegen. Lässt sich ein Übergewicht der Mieterinteressen hierbei nicht feststellen, ist das Fortsetzungsverlangen des Mieters unberechtigt.
In dem entschiedenen Fall haben die Vermieter dem Mieter eine Alternativwohnung angeboten und haben versichert, die Wohnung bis zur Rechtskraft der Entscheidung und einer etwaigen Räumungsvollstreckung freizuhalten. Damit muss sich der Mieter nicht eine Wohnung auf dem sehr angespannten Münchner Wohnungsmarkt suchen, hat Gewissheit in eine Wohnung in der näheren Umgebung umziehen zu können und sein gewohntes Umfeld nicht zu verlieren, dies bei unveränderten finanziellen Rahmenbedingungen. Überdies haben die Vermieter in Aussicht gestellt, die Einbauten aus der Wohnung des Mieters in der neuen Wohnung auf ihre Kosten originalgetreu wiederherzustellen und die gesamte Umzugsorganisation für den Mieter zu übernehmen.
Hierbei ist das Landgericht der Auffassung, dass ein unbeschränkter Bestandsschutz für den Mieter nicht bestehen kann. Zwar lebt der Mieter bereits sehr lange in der streitgegenständlichen Wohnung, er ist in fortgeschrittenem Alter und hat gesundheitliche, durchaus bedenkliche Einschränkungen. Allerdings ist nach den Feststellungen des Sachverständigen ein Umzug dem Mieter möglich, wenn die emotionalen Belastungen gering gehalten werden. Genau diese Bedingung erfüllen die Vermieter jedoch. Die Vermieter übernehmen ganz erhebliche Anstrengungen, um den Umzug für den Mieter möglichst schonend zu gestalten. Der Mieter kann in seinem gewohnten Stadtviertel wohnen bleiben, er steht mit Blick auf seine Wohnsituation keiner ungewissen Zukunft gegenüber. Die emotionale Belastung durch den Umzug wird durch diese Maßnahmen gering gehalten. Der Umzug stellt für den Mieter demnach eine Härte dar, die unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Vermieter, die freie Verfügung über Ihr Eigentum und die Schaffung eines Familienwohnsitzes, zu rechtfertigen ist. Das Landgericht ist der Auffassung, dass in dieser Konstellation die Gesundheitsbelange des Mieters das Erlangungsinteresse der Vermieter nicht überwiegen.


LG München I (14. Zivilkammer), Endurteil vom 22.03.2019 - 14 S 5271/17
AG München, Schlussurteil vom 03.04.2017 - 417 C 9496/16

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